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André, Anouk und eine Mail an Ankie Spitzer

Ich habe Monate in Archiven verbracht. Tausende Seiten durchgeackert. Manchmal gekämpft, dass ich eigentlich noch gesperrte Ordner einsehen durfte. Fotografieren war verboten, Seiten abscannen auch. Aber ich durfte meinen Laptop mitnehmen und Notizen machen...

André Spitzer mit seiner Tochter Anouk Foto: Ankie Spitzer / privat

André Spitzer, Fechter in der israelischen Olympiamannschaft, ist gerade erst Vater geworden. Seine Tochter heißt Anouk. Sie ist ein paar Wochen alt, als er zur Olympiade nach München fährt. Das war im Jahr 1972. Anouk war derweil bei ihren Großeltern in den Niederlanden. Ihre Mutter war bei André in München. Alles war gut. Niemand ahnte, dass Anouk ihren Vater nie kennenlernen würde. Denn der wurde während der Olympiade von palästinensischen Terroristen ermordet, zusammen mit zehn seiner Kameraden. Der palästinensische Überfall auf die israelische Olympiamann jährt sich dieses Jahr zum 50. Mal. Darum erzählen wir die ganze Geschichte neu.

Hier Podcast-Episode 1 anhören

Geheimakte: 1972 – Episode 1 "Anouk"

Christoph Lemmer Porträt Foto: ANTENNE BAYERN

Mein Name ist Christoph Lemmer und ich bin Investigativ-Journalist. In der Vergangenheit habe über den NSU-Prozess für die Nachrichtenagentur dpa berichtet und für die ANTENNE BAYERN mehrere große Podcasts produziert, darunter einen über den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum und einen preisgekrönten über den Fall Peggy und ein falsches Mordurteil. In diesem Podcast der ANTENNE BAYERN GROUP öffnen wir 50 Jahre nach dem Olympia-Attentat in München gemeinsam die „Geheimakte: 1972

Christoph Lemmer

Im Rahmen meiner Recherche zum Podcast habe ich Dokumente komplett wörtlich abgeschrieben. Am Ende sind das mehr als 600 Seiten geworden. Vernehmungsprotokolle, Geheimdienstnachrichten, Aktennotizen, Einsatzberichte. Je länger ich las und schrieb, desto mehr tauchte ich ein: In ein Netz aus menschlichem Schicksal, maximaler krimineller Energie und Behördenversagen in fast atemberaubender Dimension.

Je tiefer ich eintauchte, desto klarer wurde mir: Ich muss nach Israel und direkt mit Angehörigen sprechen. Unbedingt. Weil ich die Geschichte aus ihrer Perspektive erzählen wollte.

Nicht aus der Perspektive von Opfern – Opfer sind zum Erzählen schwierig, denn sie tun nichts. Es wird etwas mit ihnen getan. Darum geht es in solchen Geschichten meistens um die Perspektive der Täter. Aber die wollte ich nicht.

Ich wollte die Perspektive von Menschen, die ihr Leben leben, heiraten, Kinder bekommen, aus einem Land aus- und in ein anderes einwandern. Die ihre Lebensgeschichte haben Die überragende Sportler sind. Die es zur Olympiade schaffen.

Menschen, die nicht einmal ahnen, wie sich finstere Wolken über ihr Schicksal legen. Die fröhlich von einem Musical-Besuch in München heimkommen ins Olympische Dorf.

Deren Leben sich dann von einer Minute auf die andere tragisch wendet und Stunden später gewaltsam endet.

Kurz gesagt: Ich musste nach Israel. Aus der Ferne erfährt man nichts über das wirkliche Leben. Darum schrieb ich Ankie Spitzer eine E-Mail.

Diese:

Liebe Frau Spitzer, hier schreibt Ihnen Christoph Lemmer, Journalist von Antenne Bayern. Ich arbeite an einer Podcast-Serie über den palästinensischen Terroranschlag auf die israelische Olympiamannschaft 1972. Ich würde dafür gern nach Israel fliegen und Sie als Ehefrau eines der ermordeten Sportler interviewen. Ein paar Worte zu mir: Ich habe über den NSU-Prozess für die Nachrichtenagentur dpa berichtet und für Antenne Bayern mehrere große Podcasts produziert, darunter einen über den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum und einen preisgekrönten über den Fall Peggy und ein falsches Mordurteil. Ich würde mich sehr freuen, Sie kennenzulernen.

Und Ankie Spitzer antwortete:

Lieber Herr Lemmer, ich habe Ihre E-Mail gelesen und werde natürlich mit Ihnen sprechen. Allerdings habe ich gerade nach diesem schrecklichen Terroranschlag hier in Israel viel zu tun. Vielleicht können wir nächsten Sonntag reden, wenn sich die Situation ein bisschen beruhigt hat. Vielen Dank und beste Grüße, Ankie Spitzer

Dazu habe ich Ihr einen Link zu meinen Notizen geschickt. Ich war überrascht, wie sie darauf reagierte. Sie erfuhr Dinge, von denen sie bis nie gehört hatte – in all den 50 Jahren und trotz massiver Bemühungen, aufzuklären, was mit ihrem Mann und seinen Team-Kameraden damals passierte.

Was daraus wurde? Ein Haufen Arbeit und eine Podcast-Serie – Geheimakte 1972. Erzählt aus neuen Perspektiven und mit neuen Erkenntnissen.

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