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Überlebende Terroristen in bayerischer U-Haft: Ein Star-Anwalt, viele Zigaretten und eine Ahnung, bald freizukommen

Die meisten Berichte über den palästinensischen Terroranschlag gegen die israelische Olympiamannschaft enden mit der blutigen Schießerei auf dem Flugfeld Fürstenfeldbruck. Aber drei Terroristen überleben. Und darum ist die Geschichte noch nicht zu Ende.

Fassade einer JVA Foto: Peter Kneffel / dpa

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Geheimakte: 1972 – Episode 10 "Bentoumi"

Christoph Lemmer Porträt Foto: ANTENNE BAYERN

Mein Name ist Christoph Lemmer und ich bin Investigativ-Journalist. In der Vergangenheit habe über den NSU-Prozess für die Nachrichtenagentur dpa berichtet und für die ANTENNE BAYERN mehrere große Podcasts produziert, darunter einen über den Anschlag auf das Olympia-Einkaufszentrum und einen preisgekrönten über den Fall Peggy und ein falsches Mordurteil. In diesem Podcast der ANTENNE BAYERN GROUP öffnen wir 50 Jahre nach dem Olympia-Attentat in München gemeinsam die „Geheimakte: 1972

Christoph Lemmer

Drei Terroristen überleben. Sie kommen in U-Haft in drei bayerischen Gefängnissen: Kaisheim, Straubing und München-Stadelheim. Die Behörden wollen die drei getrennt voneinander halten und Absprachen verhindern. Aber das geht offensichtlich schief.

Bei den Recherchen für unsere Podcastserie haben wir viele Dokumente in den Archiven gefunden, die die Haftzeit der drei Terroristen ziemlich detailliert dokumentieren. Es waren ohnehin nur wenige Wochen.

Gleich in den ersten Tagen erscheint ein prominenter Anwalt und wird von den bayerischen Behörden von Haftanstalt zu Haftanstalt gefahren. Sein Name: Ammar Bentoumi. Diesen Namen mag heute kaum noch jemand kennen, aber damals, 1972, war er eine ganz große Nummer.

Bentoumi war Algerier. Er war Vorsitzender der algerischen Anwaltskammer. Vorher war er als Justizminister Mitglied der algerischen Regierung. Bentoumi war erfolgreich und zugleich überzeugter Kommunist. Algerien wurde seit der Unabhängigkeit von Frankreich von einer sozialistischen Regierung geführt. Verbündet war Algerien mit der Sowjetunion und den Radikalen unter den arabischen Führern, wie Libyens Diktator Gaddafi. Der Hauptfeind war Israel.

Und dieser Ammar Bentoumi erschien am 28. September 1972 in München-Stadelheim, um sich als Anwalt des dort inhaftierten Terroristen Badran vorzustellen. Über dieses Treffen gibt es zwei Berichte. Einer stammt von Badran selbst, der andere von der Polizei.

Badran führte im Gefängnis eine Art Tagebuch, teils sehr langatmig und wirr. Ein Übersetzer hat es teils wörtlich übersetzt, teils zusammengefasst. Über das Treffen mit Bentoumi notiert der Übersetzer unter Berufung auf Badran:

Der Gefängniswärter fordert ihn auf, sich anzuziehen. Er wird in ein Zimmer geführt, in dem sechs Personen sitzen: Der Anwalt Amir Bentoumi, ein Vertreter der algerischen Botschaft und der Dolmetscher Salat Parka, außerdem ein Richter aus München, hohe Gefängnisbeamte und eine hohe Persönlichkeit, deren Namen er nicht erinnere. Und es fielen Zigaretten für ihn ab, Marke Marlboro.

Das Polizeiprotokoll beschäftigt sich mit ganz anderen Aspekten – und zeichnet ein nicht so freundliches Bild von Badran:

Badran zeigte keinerlei Bescheidenheit und äußerte eine ganze Menge Wünsche. Er wurde von Herrn Bentoumi sogar dahingehend belehrt, dass er sich doch in einem Gefängnis befindet und solcher Art Wünsche aus diesem Grunde doch nicht ganz erfüllen sind. Bei seinen Ausführungen gab Badran auch zu verstehen, dass er die Israelis bis zu seinem Tode bekämpfen wird. Herr Erster Staatsanwalt Ammon stellte daraufhin die Frage, ob er nach seiner Entlassung auch in Deutschland in dieser Richtung aktiv sein wird. Die Antwort des Terroristen war sehr eindeutig. Er erklärte, dass er den Kampf gegen die Israelis mit aller Konsequenz fortsetzen wird.

Womöglich war das der letzte Auslöser für die deutschen Behörden, sich zu fragen, was sie mit Badran und seinen beiden Komplizen anstellen sollten.

Gesichert ist, dass in diesen Tagen Ausweisungsverfügungen gegen alle drei Terroristen ausgestellt wurden – also zu einem Zeitpunkt, als die Ermittlungen gerade erst begonnen hatten und von einer Anklage oder einem Gerichtsverfahren noch keine Rede war.

Badran jedenfalls schien zu ahnen, dass er schon bald freikommen würde. Entsprechend äußerte er sich gegenüber Mitgefangenen, genauso vertraute er es seinem Tagebuch an, das er im Gefängnis schrieb.

Und er sollte recht behalten. Denn am 29. Oktober kamen er und seine Komplizen tatsächlich frei – auf eine Weise, die bis heute nicht restlos aufgeklärt ist und die womöglich ein spektakuläres Staats- und Justizversagen war.

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