Nach Wirtz-Schreck: Amerika-Auftrag mit «Dominanz»
Florian Wirtz hat seine Muskelprobleme schnell überwunden. Das hilft dem Bundestrainer. Julian Nagelsmann fordert zum Start der WM-Qualifikation «Dominanz» und hat ein klares Ziel.


Herzogenaurach (dpa) - Als Florian Wirtz im geliebten Homeground wohlbehalten aus einem Kleinbus stieg, konnte Julian Nagelsmann aufatmen. Der Schreck vom Sonntagabend war mit der Ankunft des neuen Liverpool-Stars im Teamcamp der Nationalmannschaft verflogen. Der Bundestrainer kann nach aktuellem Stand beim Start in die WM-Mission mit seinem von massiven Muskelbeschwerden genesenen Fußball-Zauberer planen.
Die Bilder vom schmerzgeplagten Wirtz bei seiner Auswechslung kurz vor Schluss der Partie gegen den FC Arsenal hatten auch Nagelsmann unliebsam die schwierige Personallage neuneinhalb Monate vor dem großen Titelangriff in Amerika verdeutlicht. Zum Start in die WM-Qualifikation am Donnerstag (20.45 Uhr/ARD) in der Slowakei und am Sonntag (20.45 Uhr/RTL) in Köln gegen Nordirland fehlt ohnehin schon fast ein halbes Dutzend Startelfspieler.
«Generell sind wir Favorit in dieser WM-Quali-Gruppe. Ich glaube, das ist klar», sagte Nagelsmann. Aber ein Ausfall von Wirtz nach seinen multiplen Krämpfen würde weitere Flickschusterei zur Folge haben. Dabei will Nagelsmann das Teambuilding als maßgeblichen WM-Baustein jetzt entscheidend vorantreiben.
Wirtz muss sich an Premier League gewöhnen
Der frühere Leverkusener spielt dabei gerade nach dem langfristigen Ausfall von Jamal Musiala als verbliebene Kreativkraft eine besonders wichtige Rolle. Wirtz lernt nach seinem Rekordtransfer in Liverpool jeden Tag auf höchstem Niveau dazu, muss sich derzeit permanent durchbeißen.
Die ersten Auftritte in England waren solide, aber nicht berauschend. Die Schmerzattacke nach einem Laufduell im Topspiel gegen Arsenal war laut Club-Coach Arne Slot Teil eines Gewöhnungsprozesses, ein «Willkommen in der Premier League».
Die WM-Ansichten von Nagelsmann hat Wirtz längst verinnerlicht. Das Ziel könnte nicht ambitionierter sein. «Ich bin jemand, der sehr gerne groß denkt, deshalb würde ich mir weiterhin das Ziel setzen, Weltmeister zu werden. Natürlich ist das nicht einfach und leichter gesagt, als es getan ist; aber trotzdem: Der WM-Titel ist und bleibt das Ziel», sagte er jüngst dem «Kicker».
Dieses Selbstverständnis gefällt Nagelsmann. So geht auch er den Start in die WM-Saison an. Erst verwöhnte er seine wichtigsten Mitarbeiter noch vor der Ankunft der Spieler mit einem Festessen bei Sternekoch Anton Schmaus, dann gab er an seine WM-Kandidaten um Wirtz und Kapitän Joshua Kimmich erneut den klaren Auftrag für den fünften Titel-Stern - trotz der Sommer-Ernüchterung im Finalturnier der Nations League mit den Niederlagen gegen Portugal (1:2) und Frankreich (0:2).
«Ich finde, das Ziel auszurufen, dass wir Weltmeister werden wollen, ist jetzt nicht arrogant oder nicht demütig genug, sondern ich glaube, das ist ganz normal», lautet die Botschaft des Bundestrainers zum Start der Fußball-Nationalmannschaft in die WM-Qualifikation.
Platz vier war Enttäuschung
Natürlich weiß Nagelsmann, dass schon beim Auftakt der Ausscheidungsrunde für das Mammutturnier mit 48 Mannschaften im Sommer 2026 in den USA, Kanada und Mexiko der Fokus maximal sein muss. Platz vier beim Finalturnier der Nations League ist für den 38-Jährigen als letzter präsenter Eindruck eine echte Warnung.
«Wir müssen uns weiterhin formen zu einer Spitzenmannschaft und die nächsten Spiele dafür nutzen, dass wir uns diese Selbstverständlichkeit, Spiele zu gewinnen, wieder aneignen», sagte Wirtz. Gerade deshalb ist auch personelle Konstanz so wichtig. Neben Musiala werden auch Kai Havertz, Marc-André ter Stegen, Nico Schlotterbeck und Tim Kleindienst, gemeinsam mit Wirtz deutscher Toptorschütze in der Nations League, schmerzlich vermisst.
Nagelsmann hat über die Ausfälle nie lamentiert. «Dominanz» ist vielmehr das Wort, das er derzeit wiederkehrend verwendet. Unabhängig vom Personal. Die fehlte nämlich in der Schlussphase im März beim wilden 3:3 gegen Italien und auch beim 1:2 gegen Portugal im Halbfinale der Nations League.
Dominanz als Vorgabe
«Ich habe schon den Anspruch, dass wir da mit einer guten Dominanz durchgehen. Das heißt nicht, dass wir jetzt jedes Spiel 5:0 gewinnen und das wäre automatisch die Bedeutung für Dominanz, sondern dass wir es tatsächlich sechs Spiele so gestalten, dass wir keine Zweifel innerhalb der Spiele lassen», forderte der Bundestrainer für die je zwei Duelle mit der Slowakei, Nordirland und Luxemburg bis Mitte November. Dann soll Platz eins in der Gruppe A und damit das direkte WM-Ticket fix sein.
Nach der Ankunft im bei der EM liebgewonnenen Basecamp in Franken schwor Nagelsmann deshalb seine Spieler in einer Ansprache eindringlich auf die kommenden Aufgaben ein. Erst dann ging es zur üblichen Reha- und Athletikeinheit. Das Erste von nur zwei Teamtrainings vor der Abreise nach Bratislava folgt am Dienstag. Bestmöglich ohne Muskelkrämpfe bei Wirtz.