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Nagelsmanns Warnung vor der Nacht der langen Bälle

Die Belfast-Reise birgt für den Bundestrainer Gefahren. Noch ist die WM-Qualifikation nämlich keine Selbstverständlichkeit. Im Windsor Park warten Widrigkeiten, die Kimmich und Co. überwinden müssen.

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Deutschland - Luxemburg Federico Gambarini/dpa

Belfast (dpa) - Im typisch wolkengrauen Belfast kann Julian Nagelsmann hier und da die Werbeposter für das in Kürze anstehende Blues-Festival der Stadt erblicken. In eine melancholische Grundstimmung will der Bundestrainer bei der unangenehmen Auswärtsprüfung für die Fußball-Nationalmannschaft gegen euphorisierte Nordiren am Montagabend (20.45 Uhr/RTL) aber auf keinen Fall geraten. 

Vielmehr muss unbedingt der nächste, wichtige Schritt Richtung WM 2026 gelingen. Also Fußball-Rock'n'Roll in Belfast - bitte schön. Voller Fokus, volle Konzentration und die größtmögliche «Gier» und «Galligkeit» erwartet Nagelsmann im kleinen, aber ungemein stimmungsvollen Windsor Park. Nur mit einem Sieg behält die DFB-Elf ihren WM-Plan in der eigenen Hand.

Siegplan für Belfast-Prüfung

«In Belfast mit den Fans, die sehr emotional sind, das wird noch mal eine andere Hausnummer», sagte Nagelsmann nach dem 4:0 gegen Luxemburg. «Wir müssen auch da gewinnen. So gehen wir auch in das Spiel», versprach der 38-Jährige vor seiner persönlich ersten Belfast-Erfahrung. Im Abschlusstraining noch in Herzogenaurach war die Laune bei Kapitän Joshua Kimmich und dessen Kollegen unter den dortigen grauen Oktober-Wolken locker, gelöst. 

Der Erfolg gegen das punktlose Tabellenschlusslicht der Gruppe A, der die zuvor angespannte Grundstimmung zumindest wieder konsolidierte, ist schon jetzt nur noch Qualifikations-Geschichte. Nordirland soll trotz aller dort speziellen Widrigkeiten mit Wind, Wetter und großer Widerstandskraft der ultimative Wendepunkt Richtung WM-Endrunde in Amerika sein. 

Die Debatten um die Position von Kapitän Kimmich im Zentrum oder hinten rechts, die taktische Grundausrichtung in der Abwehr mit zwei oder drei Innenverteidigern - alles das empfindet Nagelsmann als lässlich. «Die Herangehensweise muss immer die gleiche sein», formulierte er den Anspruch. 

Deutschland reist zur Qualifikations-Halbzeit als Tabellenführer nach Belfast. Dass diese angenommene Selbstverständlichkeit hervorzuheben ist, beweist, dass bisher längst nicht alles rundlief. Das 0:2 gegen die Slowakei wird weiter als Hypothek mitgeschleppt. Weil die «Herangehensweise» da überhaupt nicht stimmte. Nordiren und Slowaken haben auch je sechs Zähler auf ihren Konten. 

«Am Ende müssen wir das Spiel gewinnen, das steht über allem. Ich denke, es ist nicht ratsam, die Tabelle zu lesen, wenn es nicht vorbei ist. Wir müssen die Spiele gewinnen. Und das versuchen wir am Montag», sagte Nagelsmann.

Mit fixem WM-Ticket nach Washington 

Für den Bundestrainer zählen jetzt ohnehin nur noch drei Siege bis zum Quali-Abschluss im November. Am 5. Dezember soll die Deutschland-Kugel in Washington als Gruppenkopf aus der Lostrommel gezogen werden und nicht als ein Platzhalter für einen Playoff-Teilnehmer. 

Kimmich als großer Anführer hat das Rezept nach der großen September-Verwirrung mit der Pleite von Bratislava und dem mühsamen 3:1 im Hinspiel gegen die Nordiren erkannt. «Unser Trumpf muss sein, dass wir eine Mannschaft sind», forderte der Münchner. Die lange verletzten Säulen Jamal Musiala, Kai Havertz, Antonio Rüdiger und Marc-André ter Stegen müssen durch das Kollektiv ersetzt werden. 

Nordiren spielen «eklig»

Wie ein Kollektiv funktioniert, demonstriert Gegner Nordirland, der die Slowakei am Freitag im heimischen Windsor Park mit 2:0 besiegt. Nagelsmann hat die quälenden Minuten von Köln, als beim Stand von 1:1 die nächste Demütigung drohte, nicht vergessen. «Sehr unangenehm» und «eklig» sei die Spielweise.

Dass ihm dies vom Gastgeber als Kritik ausgelegt wurde, wies der Bundestrainer noch einmal zurück. Es war eher ein gut verpacktes Lob für die Nordiren und ein kleines Klagelied. 20 lange Standards Richtung deutsche Hälfte habe er gezählt. In Belfast wartet wieder eine Nacht der langen Bälle.

Pressing läuft ins Leere 

«Das ist dann manchmal schwer zu pressen, weil sie das alles überspielen. Das ist schon eine Mannschaft, die gallig ist», attestierte der Bundestrainer dem Kontrahenten eine seiner Lieblingstugenden. 

Den Faktor Windsor Park sollte der Bundestrainer auch nicht unterschätzen. Die enge Arena kann, wenn der Wind vom Hafen hereinzieht, ein destruktiver Ort für hohe Fußball-Kunst sein. Sieben Heimspiele ist das Team von Michael O'Neill, der gegen die DFB-Elf zum 100. Mal als Nationalcoach an der Seitenlinie steht, ungeschlagen. Fünf Pflichtspiele in Serie wurden daheim mit 13:0 Toren gewonnen. Auch Dänen (0:2) und Schweizer (1:1) konnten nicht gewinnen. 

Nagelsmann könnte die gegen Luxemburg herausragenden Torschützen Kimmich und Serge Gnabry als Quelle kontaktieren. Die Münchner sind wie ihre Club-Kollegen Jonathan Tah und Leon Goretzka die einzigen aktuellen DFB-Profis, die in Belfast schon Erfahrungen sammelten. Gnabry traf 2019 beim 2:0, Kimmich 2017 beim 3:1 - beide Siege waren keine Fußball-Glanzlichter. 

«Was gut ist, dass wir gewisse Prinzipien und Einstellungsthemen an den Tag gelegt haben», sagte Kimmich nach dem Luxemburg-Erfolg. Auch in Nordirland ist das Voraussetzung - sonst gibt es für Nagelsmann den Belfast-Blues.

© dpa-infocom, dpa:251012-930-151572/3