Zum Hauptinhalt springen

HateAid zu US-Einreisesperre: Lassen uns nicht einschüchtern

Die US-Regierung wirft «Ideologen in Europa» Zensur im Internet vor und erlässt Einreiseverbote gegen Gruppen, die sich gegen Hass im Netz einsetzen. Berlin, Paris und Brüssel reagieren scharf.

ANTENNE BAYERN ANTENNE BAYERN GmbH & Co. KG ANTENNE BAYERN Logo
HateAid-Geschäftsführerinnen Sven Serkis/HateAid/dpa

Berlin (dpa) - Nach den von der US-Regierung wegen angeblicher Zensur von Online-Plattformen verhängten Einreisesperren stellt sich die gegen Internet-Hetze eintretende deutsche Beratungsstelle HateAid auf Konsequenzen ein. Man prüfe, ob das US-Vorgehen Einfluss auf den Zahlungsverkehr haben könnte, sagte HateAid-Geschäftsführerin Josephine Ballon der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. HateAid habe zwar keine Bankkonten in den USA. Unklar sei aber, ob die Entscheidung ausgeweitet und auch Sperrungen von Kreditkarten oder bei US-Anbietern geführten Online-Konten nach sich ziehen könnte. 

Wie HateAid wiesen Vertreter der Bundesregierung Zensur-Vorwürfe zurück. Die EU-Kommission drohte den USA mit Konsequenzen. Die US-Regierung hatte auch Einreiseverbote gegen drei weitere Europäer verhängt und dies mit angeblicher Zensur von US-Online-Plattformen begründet. 

HateAid: Einreisesperren rasch umgesetzt

Die US-Behörden hätten die von der Regierung in Washington verfügte Einreisesperre umgehend umgesetzt, sagte Ballon. Ihr sei am Mittwochabend mitgeteilt worden, dass sich der Status ihrer ESTA-Reisegenehmigung geändert habe und damit keine Einreise mehr möglich sei. Ihre Mit-Geschäftsführerin Anna-Lena von Hodenberg verfüge aktuell über kein Visum für die USA. Dem «Spiegel» sagte Ballon: «Leider müssen wir davon ausgehen, dass wir die Ersten, aber nicht die Letzten waren.»

Die US-Regierung hatte das Einreiseverbot am Dienstagabend deutscher Zeit öffentlich gemacht. Ballon sagte der dpa, mit Interesse verfolge sie die Reaktionen in Deutschland und der EU. Dazu gehöre auch die Forderung nach einer Einberufung des Geschäftsträgers der US-Botschaft in Berlin ins Auswärtige Amt. Eine entsprechende Forderung hatte der Grünen-Politiker und Bundestags-Vizepräsident Omid Nouripour erhoben. 

HateAid bietet psychologische und rechtliche Hilfe für Menschen an, die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder angegriffen werden. Im Oktober bekam von Hodenberg den Bundesverdienstorden – sie habe 2018 mit der Gründung von HateAid Pionierarbeit geleistet, hieß es zur Begründung. 

Rubio kritisiert «Ideologen in Europa» 

US-Außenminister Marco Rubio schrieb zur Begründung der Einreisesperren auf X: «Viel zu lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht passen.» Man sei bereit, die Liste zu erweitern, wenn es keine Kurskorrektur gebe.

Vom Einreiseverbot ist auch der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton betroffen, der als einer der Architekten des Digital Services Act gilt. Das Gesetzespaket soll verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht. Breton verglich das US-Vorgehen mit der «Hexenjagd» auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten. 

Das Gesetz über digitale Dienste (DSA) verpflichtet Plattformen dazu, einfache Verfahren zum Melden illegaler Inhalte, Waren oder Dienstleistungen anzubieten. Zudem müssen sie Maßnahmen ergreifen, um Minderjährige vor Glücksspielen oder Pornografie zu schützen.

Hubig: Nicht Washington entscheidet in EU

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) erklärte: «Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden.» Außenminister Johann Wadephul (CDU) nannte die Einreiseverbote auf X nicht akzeptabel. Der Digital Services Act stelle sicher, «dass alles, was offline illegal ist, auch online illegal ist». Er sei von der EU für die EU demokratisch beschlossen worden und wirke nicht extraterritorial. «Andere Auffassungen wollen wir mit den USA grundsätzlich im transatlantischen Dialog klären, um unsere Partnerschaft zu stärken.»

EU-Kommission droht USA – Macron spricht von Einschüchterung 

Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen verurteilte die Sanktionen aufs Schärfste. Man habe Klarstellungen erbeten, teilte die Behörde mit. Falls erforderlich, werde man rasch und entschlossen reagieren, um das Recht zu verteidigen, eigene Regeln festzulegen. Wie sie genau reagieren könnte, erläuterte die EU-Kommission zunächst nicht. 

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb auf X: «Diese Maßnahmen kommen Einschüchterung und Zwang gleich, die darauf abzielen, die europäische digitale Souveränität zu unterwandern.» 

US-Regierung nimmt Musk-Kritiker ins Visier 

Sanktionen verhängte die US-Regierung auch gegen die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und den Gründer des in den USA und Großbritannien tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed. Ahmed lebt der Organisation zufolge in Washington, ihm droht die Abschiebung aus den USA. Beide setzen sich gegen Hass und Desinformation im Internet ein. X-Eigentümer Elon Musk hatte das Center for Countering Digital Hate als «kriminelle Organisation» bezeichnet.

Kampfansage an die EU – Reaktion unklar

Für die EU kommt das Vorgehen der USA einer Kampfansage gleich – eine echte Überraschung ist es allerdings nicht. So hatte US-Vizepräsident JD Vance bereits im Februar bei der Münchner Sicherheitskonferenz den Kampf der Europäer gegen Desinformation als Einschränkung der Meinungsfreiheit kritisiert. Im August forderte Trump Staaten mit Digitalgesetzen auf, diese zu ändern oder abzuschaffen – und drohte andernfalls mit zusätzlichen Zöllen. 

Die EU steht vor der schwierigen Frage, wie sie auf die Einreiseverbote reagieren soll. Denkbar wäre, dass die EU-Kommission den Mitgliedstaaten vorschlägt, die Zusammenarbeit mit den USA in bestimmten Bereichen einzuschränken. Große Hürde ist allerdings, dass für die Umsetzung der meisten denkbaren Maßnahmen eine Zustimmung des EU-Ministerrates notwendig wäre. Dort besteht das Risiko, dass die erforderlichen Mehrheiten nicht erreicht werden, weil Regierungen wirtschaftliche und sicherheitspolitische Schäden fürchten könnten.

© dpa-infocom, dpa:251226-930-468291/4