Macron warnt vor andauernder Bedrohung durch Hamas
Am Tag nach der Freilassung der letzten Geiseln in Gaza und der feierlichen Besiegelung der Waffenruhe kehrt Ernüchterung ein. Frankreichs Präsident Macron warnt vor weiterer Gefahr durch die Hamas.


Gaza (dpa) - Nach der Freilassung der letzten lebenden Geiseln der islamistischen Hamas im Gazastreifen warnt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron vor einer andauernden Bedrohung durch die Terrororganisation. «Eine Terrorgruppe mit Tausenden Kämpfern, Tunneln und solcher Bewaffnung zerschlägt man nicht über Nacht», sagte Macron nach der Besiegelung der Waffenruhe im ägyptischen Scharm el Scheich. Israel warf der Hamas vor, bisher nur 4 der 28 toten Geiseln übergeben und sich damit nicht an die im Rahmen der Waffenruhe vereinbarten Verpflichtungen gehalten zu haben.
Die Staatschefs der USA, Katars, Ägyptens und der Türkei hatten bei ihrer feierlichen Zeremonie in Ägypten ein Dokument unterzeichnet, das die geltende Waffenruhe auf Basis des 20-Punkte-Plans von US-Präsident Donald Trump festigen soll. Darin heißt es: «Gemeinsam werden wir diese Vereinbarung so umsetzen, dass Frieden, Sicherheit, Stabilität und Chancen für alle Völker der Region, einschließlich der Palästinenser und Israelis, gewährleistet sind.» Mit Hilfe welcher konkreten Maßnahmen dies gelingen soll, wird nicht erläutert.
Macron trotz Friedensgipfels weiter besorgt wegen Hamas
«Wir verpflichten uns hiermit, künftige Streitigkeiten durch diplomatisches Engagement und Verhandlungen beizulegen statt durch Gewalt oder langwierige Konflikte», heißt es in dem Dokument weiter. Trotz der feierlichen Stimmung bei dem «Gipfel für den Frieden» in Ägypten, bei der Israel und die Hamas nicht vertreten waren, bleibt Macron vorsichtig. Ein rund 30-sekündiger Handschlag mit Trump auf einer Bühne wirkte angespannt und ruckartig.
Ob das Abkommen zu einem längerfristigen Ende der Kämpfe im Gazastreifen führen wird, ist nicht absehbar. Über die Details muss nun in einer zweiten Phase verhandelt werden. Die Hamas kündigte bereits an, den Kampf gegen Israel fortzusetzen. Sie spricht Israel weiterhin das Existenzrecht ab und will ihre Macht in Gaza wieder festigen. Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu und seine rechtsextremen Koalitionspartner wollen wiederum die Hamas restlos zerschlagen. Die Terrororganisation lehnt eine Abgabe ihrer Waffen, wie es im Friedensplan von US-Präsident Trump vorgesehen ist, bisher weiter ab.
«Ich bin noch immer besorgt, weil wir wissen, wie es bei terroristischen Gruppen läuft», antwortete Frankreichs Präsident Macron auf die Frage eines Journalisten, ob er besorgt sei, dass die Hamas das Machtvakuum im Gazastreifen ausfülle. Es werde in den kommenden Wochen und Monaten Terroranschläge und Destabilisierungen geben, sagte Macron weiter.
Wadephul: Palästinenser müssen sich von Hamas lossagen
Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) sagte im ARD-«Brennpunkt», die Hamas müsse entwaffnet werden, sie dürfe keinen politischen Einfluss mehr haben. «Und das wird die Aufgabe der Palästinenser sein, dass sie sich lossagen von dieser Organisation.» Trump soll während seines Fluges nach Israel nach Angaben mitreisender Journalisten gesagt haben, dass seine Regierung der Hamas die Erlaubnis erteilt habe, sich für eine begrenzte Zeit neu zu bewaffnen, um im Gazastreifen für Sicherheit zu sorgen.
Die Terrororganisation hatte am Montag die letzten 20 von ursprünglich 250 Geiseln freigelassen und damit einen der zentralen Punkte der Vereinbarungen über die Waffenruhe erfüllt. Die Freigelassenen sind mittlerweile in israelischen Krankenhäusern wieder mit ihren Familien vereint und von der Öffentlichkeit abgeschirmt. Kurze Videos der israelischen Armee lassen die Menschen in Israel aber an den hochemotionalen Wiedersehen teilhaben. Darin ist zu sehen, wie sich Angehörige jubelnd, schluchzend, schreiend in den Armen liegen.
Emotionale Szenen nach Rückkehr der Geiseln
«Mein Gott, mein Gott, mein Gott», ruft eine Mutter, während sie sich an ihren freigelassenen Sohn klammert. Auf den auch in Online-Medien verbreiteten Bildern und Videosequenzen ist auch Omri Miran zu sehen, der zum ersten Mal seit zwei Jahren mit seinen beiden kleinen Töchtern spielt, oder in Gefangenschaft getrennte Brüder, die sich wieder in den Arm nehmen können.
Die Hamas übergab außerdem vier Särge mit den Überresten toter Geiseln. Ihre Identifizierung und die Klärung der Todesursache durch das Rechtsmedizinische Institut könnte der Zeitung «Times of Israel» zufolge voraussichtlich bis zu zwei Tage dauern. Israel fordert derweil von der Hamas auch die Herausgabe der restlichen 24 toten Geiseln. Verteidigungsminister Israel Katz drohte der Terrororganisation, jede Verzögerung werde als grober Verstoß der Vereinbarung gewertet und «entsprechend beantwortet».
EU will Einsatz von Grenzschützern starten
Die Europäische Union hofft ungeachtet der weiterhin bestehenden Streitpunkte auf eine vollständige Umsetzung des Friedensplans von Trump und möchte sich mit Grenzschutzexperten daran beteiligen. Am Mittwoch werde man eine zivile Mission zur Überwachung des Grenzübergangs zwischen dem Gazastreifen und Ägypten wieder aufnehmen, sagte die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas am Rande einer Reise nach Kiew. Dieser Einsatz könne eine wichtige Rolle bei der Unterstützung der Waffenruhe spielen.
Die EU-Mission zur Unterstützung des Grenzschutzes in Rafah (Eubam Rafah) wurde bereits 2005 eingerichtet, um bei der Kontrolle des Grenzübergangs in Rafah zu helfen. Nach der Machtübernahme der Hamas 2007 in Gaza gab es sehr lange kein EU-Personal mehr am Grenzübergang, weil die EU nicht mit der Hamas kooperieren wollte. Der Übergang könnte nach Angaben aus israelischen und ägyptischen Sicherheitskreisen bald wieder geöffnet werden.
Aus palästinensischen Quellen hieß es, die Verwaltung werde gemeinsam von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die eigentlich nur im Westjordanland regiert, und der EU-Mission übernommen. Demnach könnten Fußgänger den durch den Krieg weitgehend verwüsteten Gazastreifen möglicherweise bereits heute wieder über Rafah verlassen. Umgekehrt könnten Einwohner des Küstengebiets, die in Ägypten festhängen, zurückkehren. In israelischen Sicherheitskreisen wurde betont, die Ein- und Ausreisenden müssten sich einer Überprüfung durch israelische Behörden stellen.