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Musikgenie Brian Wilson: Sonnenschein und dunkle Schatten

Mit den Beach Boys schuf er Popmusik für die Ewigkeit. Doch während er fröhliche Melodien schrieb, litt Brian Wilson unter schweren psychischen Problemen, die fast sein Leben zerstörten.

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Musikgenie Brian Wilson: Sonnenschein und dunkle Schatten Cyril Zingaro/Keystone/dpa

London (dpa) - Brian Wilson galt als eins der größten Genies der Pop- und Rockgeschichte. Doch hinter den sonnigen Klängen von Klassikern wie «Good Vibrations», «Surfin’ USA» oder «Wouldn’t It Be Nice» verbargen sich dunkle Schatten. Wilson hatte seit den 60er Jahren mit schweren psychischen Problemen zu kämpfen. Jetzt ist der einflussreiche Musiker im Alter von 82 Jahren gestorben. Er litt seit Jahren an Demenz. Wilsons musikalisches Vermächtnis ist gigantisch.

Talent zeigt sich schon in der Kindheit

Schon als Kind wird ihm ein Ohr für Musik nachgesagt. Auf dem anderen ist Brian Douglas Wilson, der am 20. Juni 1942 in Inglewood bei Los Angeles geboren wird, taub. Der strenge Vater Murray - ein gescheiterter Musiker - drängt ihn, ein Instrument zu lernen. Murray Wilson sei ein Tyrann gewesen, schreibt Wilson 1991 in seiner Autobiografie. Aber er erkennt das Talent seines Sohnes. Besonders das Klavier liegt ihm.

«Ich habe früh erkannt, dass ich, wenn ich die Welt ausblende, eine geheimnisvolle, gottgegebene Musik in mir hören kann», sagt Brian Wilson später. «Es war meine Gabe. So konnte ich Gefühle verstehen und ausdrücken, die ich nicht in Worte fassen konnte.» Eine Gabe - und ein Fluch, wie sich zeigen wird. Er wächst im kalifornischen Hawthorne auf, singt im Chor und bringt seinen jüngeren Brüdern Carl und Dennis Harmonien bei.

Mit Cousin Mike Love und Familienfreund Al Jardine entsteht «Surfin'», der erste Beach-Boys-Song - wobei die Band zunächst noch The Pendletones heißt. Wilson und Co. erweitern den populären «Surf Sound», den Gitarrist Dick Dale und Bands wie The Ventures geprägt haben, um den harmonischen Gesang. Kurz darauf unterschreiben sie bei Capitol Records.

Harmonien für die Ewigkeit

Es folgen zahlreiche Hits aus der Feder von Wilson, oft mit Mike Love als Co-Autor. Lieder wie «Surfin' U.S.A.», «Surfer Girl», «Fun Fun Fun» treffen den Nerv der Zeit und sind der Soundtrack für die amerikanische Jugend. Die Beach Boys gelten als einzige US-Band, die es mit den Beatles aufnehmen kann.

Während Love und die anderen den Ruhm genießen, leidet Wilson unter Lampenfieber. Nach einer Panikattacke hört er auf zu touren. Auf der Bühne ersetzt ihn Bruce Johnston. Perfektionist Wilson arbeitet stattdessen im Studio wie ein Besessener an neuer Musik. Seine Melodien werden komplexer, die Harmonien brillanter und die Produktion ausgefeilter. Doch er leidet unter dem Erfolgsdruck.

Den Höhepunkt seines Schaffens erreicht er 1966 mit dem Meisterwerk «Pet Sounds», das als amerikanische Antwort auf «Rubber Soul» von den Beatles gilt - und als eines der einflussreichsten Alben der Musikgeschichte. Mit Songs wie «Wouldn't It Be Nice» oder «God Only Knows» schafft Wilson Harmonien für die Ewigkeit.

Der dominante Vater, damals Manager der Band, kritisiert das Material als kommerziell untauglich. Auch Love ist skeptisch. Tatsächlich ist «Pet Sounds» in den USA nicht sofort ein Hit, weil es seiner Zeit weit voraus ist. «I Just Wasn't Made for These Times» heißt passenderweise einer der Songs.

Nicht nur «Good Vibrations»

Wilson hat damals das Gefühl, nirgendwo dazuzugehören. Er entfremdet sich immer mehr von den Menschen um ihn herum. Der Musiker isoliert sich im Studio und in seinem Schlafzimmer. Er nimmt Drogen, experimentiert mit LSD und verschlimmert seine psychischen Probleme. Paranoia und Depression sind die Folge. Er hört Stimmen.

In den 70er Jahren engagiert seine Familie einen Psychologen. Dr. Eugene Landy übernimmt nicht nur die Therapie, sondern auch die Kontrolle über Wilsons Leben - seine Finanzen, seine sozialen Kontakte und seine Karriere. Erst 1991, nachdem Landy mit Vorwürfen der Ausbeutung und missbräuchlicher Medikamentenvergabe konfrontiert wird, entzieht ihm ein Gericht die Lizenz.

Wilsons Leben ist geprägt von Schicksalsschlägen. Der Unfalltod von Dennis (1983) und der Krebstod von Carl (1998) setzen ihm schwer zu. Doch mit Hilfe seiner zweiten Frau Melinda berappelt er sich. Der Film «Love And Mercy», in dem Paul Dano und John Cusack Wilson spielen, erzählt seine Geschichte, die zumindest in gewisser Weise ein Happy End hat.

Gefeiertes Comeback mit «Smile»

2004 verzückt Wilson Fans und Kritiker mit der Fertigstellung von «Smile». Die Arbeit an dem experimentellen Konzeptalbum beginnt er schon direkt nach «Pet Sounds», bricht jedoch ab. «Ich dachte, es passt nicht zu den Beach Boys», sagt er später. Einige Songs, darunter «Good Vibrations», landen auf anderen Alben. Erst 37 Jahre später erscheint «Smile» und beschert dem Musikgenie seinen ersten Grammy.

Auch auf der Bühne gelingt ihm ein gefeiertes Comeback. Er überwindet sein Lampenfieber und hat sichtbar Freude an den Auftritten. Mit seinen alten Weggefährten von den Beach Boys steht er, trotz diverser gerichtlicher Auseinandersetzungen um Songwriting-Credits, kurzzeitig wieder auf der Bühne.

Für den Dokumentarfilm «The Beach Boys» gelingt es Regisseur Frank Marshall, Brian Wilson, Mike Love und Co. 2023 für ein Treffen am Strand vor der Kamera zusammenbringen. Sein letztes Konzert hat Wilson ein Jahr vorher absolviert. Anfang 2024 stirbt Melinda, kurz darauf wird bei ihm Demenz diagnostiziert.

«Ich bin kein Genie», sagte Brian Wilson einmal. «Ich bin nur ein Typ, der hart arbeitet.» Fans, Kritiker und Musikhistoriker sehen das anders.

© dpa-infocom, dpa:250612-930-660819/2