Wie der EU-Kompromiss zum russischen Vermögen aussieht
Happy End für die Ukraine: Das von Russland angegriffene Land bekommt aus der EU dringend benötigtes Geld. Allerdings nicht wie ursprünglich von Kanzler Friedrich Merz vorgesehen.
Brüssel (dpa) - Die einen sprachen von einem unverantwortlichen Verstoß gegen internationales Recht - mit unabsehbaren Folgen auch für die europäische Finanzmarktstabilität. Die anderen von einem innovativen und fairen Weg, den Fall der von Russland angegriffenen Ukraine zu verhindern: Über den Plan zur direkten Nutzung von in der EU eingefrorenem Staatsvermögen Russlands wurde wochenlang mit harten Bandagen gestritten. Beim EU-Gipfel in Brüssel kam es nun zum Showdown und am Ende zu einem gesichtswahrenden Kompromiss für alle Seiten. Ein Überblick in Fragen und Antworten:
Was sieht der Kompromiss vor?
Das neue Konzept sieht vor, der Ukraine einen zinslosen Kredit über 90 Milliarden Euro zu gewähren. Er soll den dringendsten Finanzbedarf der Ukraine in den kommenden zwei Jahren decken und dem Land eine Fortsetzung seines Abwehrkampfes gegen Russland ermöglichen. Ohne Geld aus der EU droht das Land ab dem zweiten Quartal in den Staatsbankrott zu rutschen.
Woher soll das Geld kommen?
Die EU will das Geld zu günstigen Konditionen am Kapitalmarkt aufnehmen und es dann an die Ukraine weiterreichen. Die Absicherung soll über den EU-Gemeinschaftshaushalt erfolgen. Ungarn, Tschechien und die Slowakei haben allerdings ausgehandelt, nicht an den Kosten beteiligt zu werden.
Spielt das in der EU festgesetzte Zentralbankvermögen keine Rolle mehr?
Doch. Bundeskanzler Friedrich Merz sagte nach dem Gipfel: «Die EU behält sich ausdrücklich vor: Sollte Russland keine Entschädigung leisten, werden wir – in völliger Übereinstimmung mit dem Völkerrecht – die russischen Vermögenswerte für die Rückzahlung heranziehen.»
Was war ursprünglich geplant?
Das von Kanzler Merz bevorzugte Konzept sah vor, dass sich die EU bei verschiedenen Finanzinstituten Geld leiht, über das Russland wegen Sanktionsentscheidungen der EU derzeit nicht verfügen kann. Dieses Geld sollte dann in Form von Darlehen an die Ukraine weitergereicht werden. Die EU hätte sich also kein Geld auf den Finanzmärkten leihen müssen. Insgesamt sollte es dabei um bis zu 210 Milliarden Euro gehen.
Ist dieses Konzept vollständig vom Tisch?
Offiziell nicht. In der Gipfelerklärung zum Thema werden der Ministerrat und das Europäische Parlament aufgefordert, die Arbeiten an dem Modell fortzusetzen. Eine Umsetzung ist vorerst aber eigentlich nicht mehr notwendig.
Warum gab es so lange Streit um den Vorschlag?
Die belgische Regierung blockierte das Vorhaben mit Verweis auf rechtliche und finanzielle Risiken. Sie sah unter anderem die Gefahr, dass Russland Vergeltung gegen europäische Privatpersonen und Unternehmen übt und etwa Enteignungen in Russland vornimmt. Vor allem fürchtete sie dabei auch um die Existenz des Finanzinstituts Euroclear, das dem belgischen Staat jährlich hohe Steuereinnahmen beschert. Hier wird der Großteil der in der EU eingefrorenen russischen Vermögenswerte verwaltet. Als Risiko wurde weiterhin genannt, dass ein Schiedsgericht das Vorgehen als illegale Enteignung wertet und internationale Anleger das Vertrauen in den europäischen Finanzmarkt verlieren.
Scheiterte der Vorschlag am Ende allein an Belgien?
Nein. Belgiens Regierungschef Bart De Wever hätte ungeachtet der Gefahren zugestimmt, wenn es einen Schutzmechanismus gegeben hätte, der alle Risiken zeitlich und finanziell unbefristet abdeckt. Nach Angaben von Diplomaten waren aber unter anderem Paris und Rom nicht bereit, die notwendigen Mittel dafür zur Verfügung zu stellen.
Kann der Plan der EU die US-Initiative zur Beendigung des russischen Angriffskrieges gefährden?
EU-Ratspräsident António Costa sieht dieses Risiko nicht. «Unser Ziel ist nicht, den Krieg zu verlängern. Im Gegenteil: Die heutigen Entscheidungen sind ein entscheidender Beitrag, um einen gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine zu erreichen», sagte er nach dem Gipfel.