Keine Schreibschrift mehr? Test an Bayerns Grundschulen
Macht es Sinn, dass Grundschüler nach der Druckschrift noch eine Schreibschrift lernen? Ein Modellprojekt in Bayern testet, ob Kinder direkt aus der Druckschrift ihre individuelle Handschrift entwickeln können. Das Ergebnis könnte weitreichende Folgen haben.


In Bayern wird aktuell ein Modellprojekt getestet: An 43 Grundschulen sollen Kinder direkt aus der Druckschrift ihre individuelle Handschrift entwickeln - ohne den „Umweg“ über eine verbundene Schreibschrift. Das Projekt trägt den Namen „FlowBy“ und könnte die Art und Weise, wie Kinder in Bayern schreiben lernen, grundlegend verändern.
Was wird im Modellprojekt FlowBy getestet?
Im Modellprojekt „FlowBy“ wird der Fokus auf die Entwicklung einer individuellen Handschrift gelegt. Die Kinder probieren in Schreibwerkstätten verschiedene Buchstabenverbindungen aus und entwickeln so eine Schrift, die zu ihnen passt.
Die Handschrift der Kinder wird in der zweiten, dritten und vierten Klasse anhand von Kriterien wie Leserlichkeit, Formklarheit, Flüssigkeit und Schreibtempo beurteilt. Dabei wird auch untersucht, wie sich die Bewegungen des Stifts auf das Schreibtempo auswirken.
Wie lernen Kinder in Bayern aktuell schreiben?
Derzeit lernen Grundschüler in Bayern zunächst die Druckschrift, die sie bereits aus Büchern oder Schildern kennen. Ende der ersten oder Anfang der zweiten Klasse wird dann eine Schreibschrift eingeführt, meist die sogenannte „Vereinfachte Ausgangsschrift“. Diese ist vollständig verbunden und soll den Kindern helfen, eine flüssige Handschrift zu entwickeln.
Am Ende der Grundschulzeit sollen die Kinder aus Druck- und Schreibschrift ihre individuelle Handschrift formen. Doch genau dieser zweiphasige Schrifterwerb wird zunehmend kritisch gesehen.
Warum ist der zweiphasige Schrifterwerb problematisch?
- Für Kinder: Viele Kinder sind überfordert, wenn sie jeden Buchstaben in vier Varianten lernen müssen: als Groß- und Kleinbuchstaben in Druck- und Schreibschrift. Das erschwert die Automatisierung des Schreibprozesses und lenkt vom Inhalt ab.
- Für Lehrkräfte: Die „Vereinfachte Ausgangsschrift“ führt oft zu unleserlichen Handschriften, die es an Formklarheit und Flüssigkeit mangeln lassen. Viele Kinder fallen später wieder auf die Druckschrift zurück.
- Aus wissenschaftlicher Sicht: Studien zeigen, dass Kinder mit einer verbundenen Schreibschrift langsamer schreiben als mit einer teilverbundenen oder reinen Druckschrift.
Welche Vorteile könnte das neue Konzept haben?
- Schnelleres Schreiben: Kinder mit einer teilverbundenen Schrift schreiben nachweislich schneller als mit einer vollständig verbundenen Schreibschrift.
- Individuelle Förderung: Durch die Schreibwerkstätten können Kinder eine Schrift entwickeln, die zu ihren motorischen Fähigkeiten passt.
- Weniger Verwirrung: Der Verzicht auf die Schreibschrift reduziert die Komplexität des Schrifterwerbs.
Wie geht es weiter?
Das Modellprojekt wird wissenschaftlich begleitet und evaluiert. Je nach Ergebnis könnte das Kultusministerium bereits ab dem Schuljahr 2026/27 eine Grundsatzentscheidung treffen. Möglich wäre, dass die verpflichtende Schreibschrift an Bayerns Grundschulen abgeschafft wird.
Wie ist es in anderen Bundesländern?
In Deutschland gibt es keine einheitliche Regelung. Während einige Bundesländer wie Baden-Württemberg den Schulen die Wahl lassen, verzichten Länder wie die Schweiz komplett auf die Schreibschrift. Hessen hat die sogenannte „Grundschrift“ als alleinige Ausgangsschrift sogar wieder abgeschafft.
Was sagen Lehrkräfte dazu?
Die Meinungen gehen auseinander:
- Viele Lehrkräfte begrüßen das neue Konzept, da es Kindern mit motorischen oder sprachlichen Schwierigkeiten den Einstieg erleichtert.
- Andere, wie der Bayerische Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV), sehen in der Schreibschrift eine wichtige Grundlage für eine sichere Handschrift.