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Wieso tötete der Nürnberger Tiergarten gesunde Paviane?

Seit gut eineinhalb Jahren wurde über das kontroverse Thema gestritten. Aus Platzmangel hat der Zoo nun zwölf Affen getötet. Was sind die Gründe dafür?

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Guinea-Paviane im Tiergarten Nürnberg Daniel Karmann/dpa

Nürnberg (dpa) - Dass der Aufschrei groß sein wird, damit hat der Nürnberger Tiergarten von Anfang an gerechnet. «Wie stumpf wäre die Gesellschaft, wenn sie nicht protestiert und erst einmal ihrem Willen Ausdruck verleiht, dass man Affen nicht einfach töten darf», sagt Direktor Dag Encke. «Auch uns fasst das an.» 

Trotzdem hat der Tiergarten nun zwölf Guinea-Paviane getötet, weil die Gruppe zu groß für das Gehege geworden ist. Gegen die Pläne hatten Aktivistinnen und Aktivisten zuvor wiederholt demonstriert und waren am Dienstag sogar in den geschlossenen Tiergarten eingedrungen. Auch in den sozialen Medien wird das Thema sehr kontrovers diskutiert. Die wichtigsten Fragen und Antworten:

Wieso wurden gesunde Paviane getötet?

Die Gruppe der Guinea-Paviane zählte zuletzt 43 Tiere und war damit zu groß für das Gehege. Im Februar 2024 hatte der Tiergarten bereits bekanntgegeben, einige Tiere töten zu wollen. Wegen des Platzmangels im Gehege komme es verstärkt zu Konflikten, bei denen sich die Tiere verletzten, begründete er die Entscheidung damals. Außerdem sei die soziale Struktur innerhalb der Gruppe ungünstig.

Aus Sicht mehrerer Tierrechts- und Tierschutzorganisationen sind die Probleme aber hausgemacht. «Der Tiergarten Nürnberg hätte schon vor Jahren dringend handeln müssen», sagt etwa Laura Zodrow von Pro Wildlife. Die Tiere müssten nun die verfehlte Zucht- und Haltungspolitik mit ihrem Leben bezahlen.

Wieso erweitert der Tiergarten nicht einfach die Pavian-Anlage?

«Das wäre grundsätzlich natürlich möglich, aber das müssten wir alle paar Jahre wiederholen und dann hätten wir irgendwann nur noch Paviane im Zoo», sagt Encke. In den Jahren 2007 bis 2008 sei bereits ein neues Pavianhaus gebaut worden, fünfmal größer als das alte. Dadurch sei die Anlage nun für 25 Paviane plus Jungtiere ausgelegt. 

Tierrechts- und Tierschutzorganisationen wie Pro Wildlife, Peta und der Deutsche Tierschutzbund stoßen sich vor allem daran, dass Paviane aus Platzmangel getötet werden, während der Tiergarten zeitgleich sein Giraffenhaus für viel Geld saniert und das Gehege erweitert. Darin sehen diese eine Doppelmoral. 

Wieso hat der Tiergarten die Zahl der Tiere nicht schon früher begrenzt?

Das hat der Tiergarten laut Encke getan: Seit 2011 seien insgesamt 16 Tiere in den Pariser Zoo und einen Zoo in China umgezogen. Früher seien außerdem große Gruppen an einen Zoo in Spanien abgeben worden, der neu mit der Haltung angefangen habe. Diese Optionen bestehen nun nicht mehr. «Jeder einzelne Zoo hat seine Kapazitäten zurzeit erreicht», sagt Encke.

Außerdem habe der Tiergarten versucht, die Geburtenrate zu senken, indem er Weibchen ein Verhütungsmittel implantiert habe, dass diese vorübergehend unfruchtbar machen sollte. «Dieses Verhütungsmittel hat aber zur dauerhaften Unfruchtbarkeit bei den Weibchen geführt, so dass wir nur noch drei Weibchen hatten, die überhaupt noch Junge bekommen konnten», sagt Encke. Nach 2018 wurden deshalb keine Verhütungsmittel mehr eingesetzt. 

Drei fruchtbare Weibchen hätten zwar für die Zucht gereicht, es sei aber zu Unruhe in der Gruppe gekommen, erläutert Encke. Bei den Pavianen besäßen die Weibchen mit Jungtieren eine Schlüsselfunktion im Sozialgefüge. Die Jungtiere würden gemeinschaftlich auch von den Männchen aufgezogen. «Wenn zu wenig Jungtiere da sind, dann fehlt der friedensstiftende Sozialpart in der Gruppe.»

Wieso können überzählige Tiere nicht ausgewildert werden?

Guinea-Paviane leben nach Angaben des Tiergartens in Afrika in einem Gebiet, das sich über den Senegal, Guinea-Bissau, Guinea, Sierra Leone und Mali erstreckt. Dort gibt es demzufolge kaum noch geeignete Gebiete, wo sie sicher leben könnten. 

Eine Auswilderung kommt laut Encke aus einem weiteren Grund nicht infrage: «Wir bringen mit den Affen Keime in die Umgebung, die für die wilden Guinea-Paviane tödlich sein können. Das ist nur erlaubt, wenn es um den Wiederaufbau einer verschwundenen Population geht, ohne Berührung zu dort bereits bestehenden lebenden Tieren.»

Wieso hat es mit einem Umzug in andere Zoos oder Auffangstationen nicht geklappt?

Nach der Ankündigung des Tiergartens Anfang 2024 hatten mehrere Einrichtungen angeboten, die überzähligen Affen zu übernehmen. Der Tiergarten hatte die Angebote eigenen Angaben nach geprüft, am Ende aber aus verschiedenen Gründen als ungeeignet abgelehnt. 

Im Gespräch war auch das Primatenschutzzentrum WAMS (Wales Ape and Monkey Sanctuary) in Wales, das nach eigenen Angaben Primaten und andere Tiere beherbergt. Dieses hatte sich dem Tiergarten zufolge aber auf Anfrage nicht dazu geäußert, wie viele Paviane die Auffangstation aufnehmen könnte und wie die Tiere dort gehalten würden. Später teilte dieses mit, keinen Platz mehr für die Nürnberger Paviane zu haben. 

Wie wurden die Paviane getötet und was passiert mit den toten Tieren?

Die Paviane wurden dem Tiergarten zufolge einzeln mit einem Kugelschuss in einer Transportkiste erschossen. Weibchen seien zunächst unter Narkose untersucht worden, ob diese trächtig seien. Dabei seien zwei Weibchen gestorben, die sonst erschossen worden wären, sagte Encke. Es soll nun untersucht werden, was die Ursache dafür war. Nach den Tötungen habe der Tiergarten wissenschaftliche Proben für die Forschung von den Pavianen entnommen. Die Tierkörper sollen anschließend an die Raubtiere verfüttert werden. 

Wieso werden Guinea-Paviane in Zoos gezüchtet? 

Insgesamt leben gut 280 Guinea-Paviane in zehn europäischen Zoos, im Nürnberger Tiergarten seit 1942. Die Gruppe ist Teil des europäischen Erhaltungszuchtprogramms. Deren Ziel ist es, Reservepopulationen von gefährdeten Arten in Zoos zu züchten, um diese in Zukunft in geschützte Gebiete auswildern zu können. 

«Für alle Arten, die als Verantwortungsarten der Zoos, als Reservepopulationen oder besonders wertvolle Populationen definiert sind, liegt ein Erhaltungsgebot vor, das einen generellen Zuchtstopp ausschließt», heißt es in einer Vorlage, die der Tiergarten für den Nürnberger Stadtrat zu dem Thema vorbereitet hatte. Dabei sei es unvermeidbar, dass überzählige Tiere entstehen, die abgegeben oder getötet werden müssen. 

«Das Argument des Artenschutzes ist vorgeschoben», sagt dagegen Laura Zodrow von Pro Wildlife. «Reservepopulationen machen nur dann Sinn, wenn Wiederauswilderungs-Programme existieren – davon ist bei den Guinea-Pavianen jedoch nicht die Rede.» Artenschutz finde vor Ort statt, indem man den Lebensraum und die Tiere schütze.

Was sagt das Tierschutzgesetz zu einer Tötung von Zootieren?

Das deutsche Tierschutzgesetz besagt, dass kein Tier ohne vernünftigen Grund getötet werden darf, ohne diesen genauer zu definieren. Als vernünftige Gründe gelten etwa das Schlachten von Nutztieren, Jagd, Fischerei, die Tierseuchenbekämpfung und das Erlösen eines leidenden Tiers. 

Zur Tötung von Zootieren sagt das Tierschutzgesetz nichts. Auch deshalb hat der Tiergarten Anfang 2024 öffentlich angekündigt, einige Paviane töten zu wollen. Die Debatte, ob es dafür einen vernünftigen Grund gebe, müsse in der Gesellschaft geklärt werden, sagt Encke. 

Wie ist die Tötung der Paviane aus ethischer Sicht zu bewerten?

Der Tiergarten tötet überzählige Paviane, damit er diese für den Artenschutz weiter züchten kann - eine absurde Logik, findet die Tierethikerin Judith Benz-Schwarzburg von der Veterinärmedizinischen Universität Wien. «Die Hauptproblematik ist, dass Artenschutz ganz anders betrieben werden kann und dass dieses Argument grundsätzlich fragwürdig ist. Zoos betreiben in der Regel keine Auswilderung, und die dort gezüchteten Tiere wären dafür ungeeignet.»

Problematisch findet sie auch das Argument, dass Zoos die Menschen für den Artenschutz sensibilisieren und über Wildtiere informieren sollen. «Die Interessen des einzelnen Tiers werden hinten angestellt. Es wird sozusagen dafür verwendet, ein höheres Gut - die Artenschutzbildung - zu erreichen.» Das könnten gute Bildungsprojekte aber auch, zumal Erhebungen gezeigt hätten, dass sich Besucherinnen und Besucher selbst in modernen Vorzeigeanlagen nur durchschnittlich 13 bis 41 Sekunden vor den Gehegen aufhielten. 

Zoos sind nach Ansicht von Benz-Schwarzburg nicht mehr zeitgemäß. Diese seien ein koloniales Erbe wie die Völkerschauen, bei denen bis in die 1950er Jahre Menschen aus anderen Kulturen gezeigt wurden. «Das ist in erster Linie eine Machtgeste, dass wir fühlende Lebewesen einfach ausstellen und unseren Blick verfügbar machen können», sagt die Wissenschaftlerin. «Wir haben aus guten Gründen aufgehört, Menschen auszustellen. Aber mit welchem Recht machen wir das eigentlich weiterhin bei Tieren?». 

Töten auch andere Zoos gesunde Tiere?

Ja, in vielen Zoos werden extra Futtertiere gezüchtet, die als Mahlzeit für Löwen, Tiger und andere Fleischfresser vorgesehen sind. Aber auch überzählige Zootiere werden getötet und verfüttert. Der Deutsche Tierschutzbund spricht von einer «gängigen Praxis».

Für Schlagzeilen sorgte etwa 2014 die Tötung der Giraffe Marius im Kopenhagener Zoo. 2023 schlachtete der Leipziger Zoo einen Zebrahengst, für den sich kein Platz in einem anderen Zoo fand. Der Nürnberger Tiergarten wiederum verfüttert vom Aussterben bedrohte Somali-Wildesel und Prinz-Alfred-Hirsche. 

Der Nürnberger Tiergarten informiere die Besucherinnen und Besucher auf Schautafeln darüber, welches Tier wann verfüttert wurde, sagt Encke. Dass es nun einen Aufschrei bei den Pavianen gibt, liegt ihm zufolge daran, dass es sich um Affen - und damit um nahe Verwandte des Menschen - handelt: «Das ist eine sehr emotionale Geschichte.» Bei Huftieren sei die Akzeptanz größer.

Wird es eine juristische Auseinandersetzung geben?

Tierrechts- und Tierschutzorganisationen haben angekündigt, dass sie Strafanzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz stellen werden. Der Tiergarten bereitet sich deshalb darauf vor, dass es zum Prozess kommen könnte. «Wir hoffen, dass es zu einer grundsätzlichen Klärung kommt», sagt Encke.

Genau darum geht es in dem Fall nach Ansicht von Pro Wildlife. «Mit den Pavianen wird ein gefährliches Exempel statuiert - es wird nicht bei dieser einen Tierart bleiben, wenn diese Praxis des Tötens ungewollter Zootiere erst etabliert ist», sagt Zodrow.

© dpa-infocom, dpa:250729-930-853595/3