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Gaza erreicht große Festivalbühne - mit Hollywood-Support

Ein Film über ein getötetes palästinensisches Mädchen - produziert von Brad Pitt und Joaquin Phoenix - und die Premiere des jüdischen Filmemachers Julian Schnabel politisieren das Filmfest Venedig.

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Internationale Filmfestspiele Venedig - "The Voice of Hind Rajab" Scott A Garfitt/Invision/AP/dpa

Venedig (dpa) - Ein von Brad Pitt und Joaquin Phoenix mitproduziertes Dokudrama über ein getötetes palästinensisches Mädchen im Gazastreifen hat beim Filmfest Venedig Aufsehen erregt. Der Film «The Voice of Hind Rajab» der tunesischen Regisseurin Kaouther Ben Hania ist Teil des Wettbewerbs, womit der Gaza-Krieg erstmals die ganz große Bühne bei einem A-Festival bekommt. Das Werk, das nicht den 7. Oktober 2023 als Auslöser des Krieges thematisiert, feierte am Mittwoch Premiere.

Ungewöhnlich langer Applaus nach der Premiere

Phoenix und seine Partnerin Rooney Mara, die ebenfalls zu den Produzenten gehört, liefen mit über den roten Teppich und hatten nach der Premiere Tränen in den Augen, wie der «Hollywood Reporter» schrieb. 

Verschiedene Medien berichteten, dass das Filmteam nach der Premiere deutlich über 20 Minuten Applaus und Standing Ovations im Kinosaal bekam - eine selbst auf Filmfestivals ungewöhnliche Dauer und deutlich mehr, als jeder andere Film im Wettbewerb bislang erhielt. Im Kinosaal waren «Free Palestine»-Rufe zu hören, einzelne Menschen schwenkten palästinensische Flaggen.

Das Dokudrama erzählt die letzten Momente im Leben des palästinensischen Mädchens Hind Rajab im Gazastreifen. Die laut Filmteam Fünfjährige starb im Januar 2024 beim Fluchtversuch ihrer Familie aus der Stadt Gaza. Der Film sowie mehrere unabhängige Untersuchungen legen nahe, dass sie und Teile ihrer Familie von israelischen Streitkräften getötet wurden. 

Kaouther Ben Hania hat ihrem Film den Hinweis vorangestellt: «Diese Dramatisierung basiert auf wahren Begebenheiten.» Die Regisseurin kombiniert originale Ton- und Videoaufnahmen mit nachgestellten und dramatisierten Szenen.

Das israelische Militär bestreitet, den Angriff durchgeführt zu haben und teilte mit, es hätten sich zu der Zeit keine Truppen vor Ort befunden.

Film benutzt echte Telefon- und Video-Mitschnitte

Zentrales Element des Films ist ein nach Angaben der tunesischen Regisseurin echter Telefonmitschnitt. Während das Mädchen im bereits beschossenen Wagen zwischen getöteten Familienmitgliedern festsaß, telefonierte es rund drei Stunden lang mit Freiwilligen des Palästinensischen Roten Halbmonds und flehte um Hilfe. 

Die Retter, die sich nach stundenlanger Koordination auf den Weg machten, wurden demnach auf ihrem Weg zu Hind Rajab selbst getötet. Anschließend brach die Verbindung zu Hind ab, die 12 Tage später gemeinsam mit ihrer Familie und den Sanitätern tot geborgen wurde.

Premiere von jüdischem Filmemacher Schnabel ohne Gal Gadot?

Der Gaza-Krieg beeinflusste am Mittwoch das weitere Festival-Geschehen. Nach «The Voice of Hind Rajab» war die Premiere von «In The Hand of Dante» geplant - ein historischer Krimi unter der Regie des jüdischen US-Regisseurs Julian Schnabel. Zwei der Darsteller, die Israelin Gal Gadot und der Brite Gerard Butler, waren vor Start des Festivals von propalästinensischen Aktivisten angefeindet worden, die ihre Ausladung forderten. 

Gadot, die in Israel Wehrdienst leistete, hatte sich nach dem Terrorangriff der Hamas im Oktober 2023 solidarisch mit den israelischen Opfern erklärt und sich für die Freilassung der israelischen Geiseln ausgesprochen. Auch Butler hatte sich in der Vergangenheit öffentlich zu Israel bekannt. Sie wurden nicht in Venedig erwartet. Ihr Management äußerte sich auf Nachfrage nicht. 

Regisseur Schnabel sagte vor der Premiere: «Ich denke, es gibt keinen Grund, Künstler zu boykottieren. Ich habe diese Schauspieler wegen ihrer schauspielerischen Leistung ausgewählt, und sie haben in dem Film Außergewöhnliches geleistet.» Zu «Hind Rajab» und der Debatte über den Gaza-Krieg auf dem Festival wollte er sich auf Nachfrage nicht äußern.

Filmemacherin nutzt Pressekonferenz für politischen Appell

Auslöser des Gaza-Krieges war der Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023, bei dem rund 1.200 Menschen in Israel getötet und mehr als 250 weitere in den Gazastreifen verschleppt worden waren, darunter auch Kinder. Das wird im Film nicht thematisiert, der sich auf das Schicksal von Hind und ihrer Familie fokussiert.

Israel spricht von Selbstverteidigung nach dem Terrorangriff und hat zugesagt, den Schaden für die Zivilbevölkerung so gering wie möglich halten zu wollen. Die hohe Zahl ziviler Opfer im Gaza-Krieg wird aber international kritisiert.

Das Filmteam drückte in Venedig seine Trauer über das Schicksal von Hind Rajab aus und nutzte die Pressekonferenz gleichzeitig für einen politischen Appell. «Genug von diesem Völkermord», sagte Kaouther Ben Hania. Auch mehrere Schauspieler warfen Israel vor, im Kampf gegen die Hamas im Gazastreifen einen Genozid zu begehen. 

Den Genozid-Vorwurf weisen Israel und auch die deutsche Regierung zurück. Der Begriff Völkermord bezeichnet laut UN-Konvention die Absicht, eine Bevölkerungsgruppe zu vernichten. Israel strebt nach eigenem Bekunden die Zerschlagung der islamistischen Terrororganisation Hamas an, nicht jedoch die Zerstörung des palästinensischen Volkes.

© dpa-infocom, dpa:250903-930-991566/4