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Schwarz-Rot im Rentenstreit – Sinken die Renten?

Soll die Rente in Deutschland sinken? Diese brisante Frage steckt hinter dem erbitterten Koalitionsstreit über die Rente – aber nicht nur.

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Nach dem Koalitionsausschuss Kay Nietfeld/dpa

Berlin (dpa) - Stadtbild, Syrien-Abschiebungen und jetzt die Rente – die Koalition schlittert von ihren jüngsten Tiefs direkt in einen erbitterten Rentenstreit. Auf dem Spiel steht erneut die Handlungsfähigkeit von Union und SPD – aber auch ein zentrales Versprechen der Politik an die Rentnerinnen und Rentner. Um was es geht:

Warum kocht der Streit jetzt hoch?

Mit der Rentenreform soll ein zentraler schwarz-roter Kompromiss am 1. Januar 2026 in Kraft treten. Dafür müsste der Bundestag das Gesetz noch rechtzeitig beschließen. Wenn alles klappt, setzt die SPD damit ihr Wahlkampfversprechen einer stabilen Haltelinie beim Renten-Sicherungsniveau durch (48 Prozent bis 2031), die CSU die ausgeweitete Mütterrente (für vor 1992 geborene Kinder).

Was soll die Reform kosten?

Durch die Mütterrente fallen ab 2027 grundsätzlich jährliche Mehrausgaben von rund 5 Milliarden Euro im Bundeshaushalt an. Allerdings sollen die Zahlungen erst 2028 abgewickelt werden – deshalb schlägt die Maßnahme dann mit rund 10 Milliarden zu Buche. Die Verlängerung der Haltelinie soll erst ab 2029 Geld kosten, nämlich zunächst rund 3,6 Milliarden Euro, 2030 dann 9,3 und 2031 rund 11 Milliarden Euro. 

Warum genau streitet die Koalition jetzt?

Der Gesetzentwurf besagt: «Auch nach 2031 liegt das Rentenniveau um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht.» Deshalb gelte für die Milliardenkosten: «Auch in den Folgejahren ist mit einem weiteren Anstieg zu rechnen, da das Rentenniveau zwar sukzessive sinkt, jedoch weiterhin über dem sich nach geltendem Recht ergebenden Rentenniveau liegt.» Da die Haltelinie auch über 2031 hinaus Wirkung entfalte, sei auch die dafür vorgesehene Erstattung des Bundes dauerhaft zu zahlen. 

Wer stört sich daran warum?

Die 18-köpfige Junge Gruppe der Unionsfraktion. Ihr Chef Pascal Reddig (CDU) ist einverstanden mit 48 Prozent bis 2031. Doch der eine Prozentpunkt, um den das Niveau danach höher als ohne Reform liegen solle, koste bis zu 15 Milliarden jährlich. Deshalb brauche es Änderungen. «Die erwarten wir auch, sonst können wir dem nicht zustimmen», sagte Reddig schon Mitte Oktober. Nun eskalierte der Streit: Während Kanzler Friedrich Merz (CDU) beim Deutschlandtag der Jungen Union auf einen Saal mit demonstrativ ausbleibendem Applaus traf, sagte SPD-Chef Lars Klingbeil vor Genossen: «An diesem Gesetz wird nichts mehr geändert.»

Was macht das Problem so groß?

Uneinigkeit besteht bei dahinterliegenden Fragen. SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf sagt, für seine Partei gehe es bei der Frage um «arm gegen reich». Gerade die weniger Begüterten müssten sich auf die gesetzliche Rente verlassen können. «Für uns ist essenziell, dass dieses Versprechen auch eingehalten werden kann.» Junge-Union-Chef Johannes Winkel hingegen machte am Wochenende klar, wegen «Folgekosten von 120 Milliarden Euro» dürfe das «auf keinen Fall so kommen».

Warum hat die Koalition diese Frage nicht bereits geklärt?

Bei den Koalitionsverhandlungen galt das Motto, dass schnell zu Ende verhandelt werden soll. So blieb der Koalitionsvertrag «an entscheidender Stelle unklar», wie der Professor für öffentliche Finanzen und «Wirtschaftsweise» Martin Werding sagt. «Da steht sehr genau, dass das Sicherungsniveau bis 2031 fixiert wird.» Gleich danach komme: Am Nachhaltigkeitsfaktor werde festgehalten – also am Instrument für eine langsame Senkung des Sicherungsniveaus. Wie es 2032 weitergehen soll, sei dort nicht geklärt. Im Gesetzentwurf von SPD-Chefin und Arbeitsministerin Bärbel Bas stehe jetzt die naheliegende Lösung: «Man fährt eben von dem Sicherungsniveau weiter, das sich bis dahin ergeben hat.»

Warum wird es nicht einfach für 2032 anders geregelt?

Weil das einer Rentenkürzung gleichkommen könnte – und die schließt vor allem die SPD aus. Dann müsste nach Experteneinschätzung auch die heute geltende Rentengarantie gestrichen werden. Denn wenn 2032 nicht das bis dahin geltende Rentenniveau als Ausgangsbasis verwendet wird, sondern die Rechtslage ohne Haltelinie – dann müsste wohl die Wirkung des Nachhaltigkeitsfaktors bis dahin eingerechnet werden. Folge: Die Renten könnten dann sinken.

Wer kämpft an der Seite der Jungen Union für niedrigere Kosten?

Die Arbeitgeber. Die Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände spricht vom «teuersten Sozialgesetz dieses Jahrhunderts» – mit Kosten von mehr als 200 Milliarden Euro in den kommenden 15 Jahren. Das Gegenteil der geplanten Maßnahmen sei nötig: Ausgaben senkende Reformen. Die Präsidentin der Deutschen Rentenversicherung Bund, Gundula Roßbach, hatte allerdings darauf hingewiesen, dass es sich bei solchen Schätzungen um aufsummierte Kosten handele. International betrachtet sei Deutschland «nicht überproportional großzügig, was die Alterssicherung anbelangt», sagt die Renten-Präsidentin. «Wir erleben keine Kostenexplosion in der Rentenversicherung, wir haben eine stetige Entwicklung.» 

Wie könnte ein Kompromiss zum Kompromiss aussehen?

Kanzler Merz will «für die Zeit nach 2031 in unserem Rentensystem grundlegend etwas ändern», wie er in der ARD sagte. Dafür werde noch in diesem Jahr eine Rentenkommission eingesetzt, bekräftigte er. Die Kommission solle noch vor der Sommerpause 2026 ihre Arbeit abschließen. Unmittelbar danach werde das Gesetzgebungsverfahren beginnen. Man könne diese Schrittfolgen auch in einem «Begleittext», etwa einem Entschließungsantrag, zum aktuellen Gesetzesentwurf klarstellen. Allerdings erinnern sich Beobachter an die bis dahin letzte Rentenkommission: Wegen Uneinigkeit blieben Reformen danach aus.

Was kann die Rentenkommission bewirken?

Ohne politische Beschlüsse nicht viel. Doch weitgehende Vorschläge könnten zumindest theoretisch bis zur Beschlussreife diskutiert werden. Etwa eine Erwerbstätigenversicherung mit Einbeziehung von Beamtinnen und Beamten, wie Bas sie bereits vorgeschlagen hat. Oder mehr ergänzende Kapitaldeckung, wofür Professor Werding plädiert. Werding zufolge wäre es ein langer Prozess, bis dadurch auskömmliche Zusatzrenten und ein besseres Sicherungsniveau erreicht würden. «Das heißt, uns stehen zehn, fünfzehn relativ harte Jahre bevor in der Rentenpolitik», erklärt der «Wirtschaftsweise».

© dpa-infocom, dpa:251117-930-303243/1